Designprinzipien von Aktivierung und Aufstellung: Was verbindet Armada mit Schach und dem zweiten Weltkrieg?

Der heutige Artikel zeichnet sich durch eine besondere Eigenart aus: Er ist völlig nutzlos! Er ist nutzlos in dem Sinne, dass er einem keine strategischen Ratschläge erteilt, einem Einsteiger keine Orientierung bietet, keine interessanten Modifikation oder Zubehör vorstellt und er auch kein Tutorial für die VASSAL-Welt darstellt.

 

Das Thema des heutigen Artikels beschäftigt mich schon sehr lange und da ich endlich das Gefühl habe, dass meine Gedanken ausgereift sind, habe ich sie nun niedergeschrieben. Mir geht es darum, einen sehr eigenartigen Aspekt der Regeln von Star Wars: Armada verständlich zu machen – nämlich die Regeln zur Aufstellung und Aktivierung von Schiffen. Und wenn ich sage, ich will diese Regeln verständlich machen, so meine ich nicht, dass nach der Lektüre dieses Artikels jeder weiß, wie im Spiel die Aufstellung und Aktivierung von Schiffen erfolgt. Im Gegenteil setzt dieser Artikel voraus, dass jedem Leser dies bereits bekannt ist. Es geht vielmehr darum zu erklären, warum bei Armada diese Regeln sind wie sie sind. Es geht um die Design-Prinzipien des Spiels.

 

Schaut man sich die Regeln zu Aktivierung und Aufstellung von Schiffen an, so mag man auf den ersten Blick wenig Verwunderliches finden: Die Spieler stellen abwechselnd Schiffe auf. Abwechselnd werden Schiffe aktiviert. Auf den ersten Blick wenig Weltbewegendes. Nach aber nur wenigen Partien Armada weiß jeder, welche enormen Auswirkungen diese Regeln auf das Spiel haben. Denn mein Gegner kann in eine prekäre Lage geraten, wenn er sein letztes Schiff bewegen muss und dieses dadurch genau im Feuerwinkel meines noch nicht aktivierten Hammers landet. Und natürlich kennt jeder den Schrecken, der durch den Vorteil entsteht, wenn der Gegner sowohl die letzte Aktivierung einer Runde als auch die erste der nächsten Runde hat: Er fliegt seinen Hammer aus weiter Entfernung heran, lädt Tod und Verderben ab und entschwindet schon wieder, bevor man überhaupt zum Vergeltungsschlag ausholen kann.

 

Diese Mechanik der Aktivierung ist allerdings alles andere als selbstverständlich. Die Spielentwickler hätten auch alternative Mechanismen zur Hand gehabt. Hier lohnt sich ein kurzer Vergleich mit dem älteren Schwesterspiel von Armada: mit X-Wing. Bei X-Wing erfolgt die Aufstellung und Aktivierung nach einem gänzlich anderen Prinzip: nämlich dem sogenannten Pilotenwert. Ich möchte dies hier nur kurz ausführen – nur soweit es für den Vergleich notwendig ist. Bei X-Wing geht es, wie die meisten wissen werden, um Staffelkämpfe, nicht wie bei Armada um Flottenschlachten. Jeder Jäger auf dem Spielfeld hat einen Pilotenwert, der die Fähigkeiten des Piloten repräsentiert. Je höher der Pilotenwert, desto besser der Pilot. Bei der Aufstellung müssen die Jäger mit niedrigerem Pilotenwert zuerst aufgestellt werden (das heißt, der bessere Pilot kann sich nach den schlechteren Piloten ausrichten und hat so schon einen ersten Vorteil). Bei der Bewegung müssen sich die schlechteren Piloten zuerst bewegen. Wieder kann der bessere Pilot sich somit in eine überlegene Position bringen, da er weiß, wo die schlechteren Piloten sein werden. Schließlich feuern die besseren Piloten vor den schlechteren und haben so die Möglichkeit diese aus dem Spiel zu nehmen, bevor sie zurückschießen können.

 

Bei Armada ist dies bekanntlich nicht so, sondern es gilt das Prinzip wechselseitiger Aktivierung, wobei jedes Schiff zu Beginn seiner Aktivierung feuert. Kein „Schiffskapitän-Wert“ bestimmt, welche Schiffe sich zuerst bewegen und zuerst feuern, sondern alleine die Entscheidungen der Spieler im Spiel.

 

Um diese beiden Prinzipien weiter zu charakterisieren, möchte ich zwei Begriffe heranziehen, die mir in anderem Kontext von Rollenspielern genannt wurden. Der erste Begriff ist der des Simulationismus. Die Regeln von X-Wing zur Staffelaktivierung sind simulationistisch. Das heißt sie sind hauptsächlich deswegen da, weil sie etwas simulieren – nämlich dass bessere Piloten es schaffen sich in überlegene Position zu ihren Gegnern zu bringen und diese eben vom Himmel holen, bevor überhaupt ein Gegenangriff erfolgen kann. Die Regeln von Armada zur Schiffsaufstellung und -aktivierung sind nicht simulationistisch. Sie repräsentieren im fiktiven Star Wars-Szenario nichts. Dass jemand die Initiative hat, weil er weniger Flottenpunkte ausgegeben hat, entspricht keiner plausiblen strategischen Situation. Dass man besser seine Schiffe koordinieren kann, weil man mehr Schiffe hat und so Aktivierungen hinauszögern kann, entspricht nicht nur keiner plausiblen strategischen Situation, es widerspricht sogar solchen. Natürlich bieten mehr Schiffe Vorteil. Man kann den Gegner einkreisen. Man kommt leichter an verwundbare Flanken. Aber das alles ist bereits in Armada durch das räumliche Spielfeld repräsentiert. Dass man aber mehr Schiffe leichter koordinieren kann, ist wie gesagt vom Standpunkt der Simulation unplausibel. Es müsste viel mehr schwerer sein, eine größere Anzahl an Schiffen gleichzeitig zu koordinieren.

 

Welches Design-Prinzip hat bei Armada dann den Vorrang, wenn es nicht die Simulation ist? Der Vergleich mit Schach kann hier helfen. Nimmt man die Regel, dass die Bauern in der ersten Reihe stehen, so hat diese Regel ebenfalls einen starken simulationistischen Aspekt. Historisch war dies nicht selten so. Wenn wir aber den Blick zu einer anderen Regel wenden, findet man keinen simulationistischen Ansatz, selbst wenn man ihn mit der Lupe suchte: Dass die Dame die schnellste und vielseitigste - und somit auf dem Schlachtfeld gefährlichste - Einheit im Spiel ist, hat mich schon seit Kindesjahren verwundert – und wahrscheinlich bin ich nicht der einzige, dem das so geht. Ein Blick in die Geschichte von Schach, wie sich das Spiel über die Jahrhunderte entwickelt hat, schafft schnell Klarheit, was diese verwunderliche Regel soll. Denn es war nicht immer so, dass die Dame die stärkste Figur im Spiel war. Vielmehr war sie früher ähnlich schwach wie der König. Doch dann änderten einige Spieler diese Regel und machten sie zur stärksten Figur. Warum? Weshalb hat sich diese Regeländerung weltweit durchgesetzt? Die Erklärung ist so einfach wie bestechend: Das Spiel wurde dadurch taktisch enorm bereichert. Es hat komplexere und interessantere Taktiken erlaubt. Und damit sind wir auch schon beim zweiten Begriff, nämlich dem Gamismus. Eine Regel ist genau dann gamistisch, wenn sie hauptsächlich deswegen da ist, weil dadurch das Spiel interessanter wird (ganz egal, ob dadurch etwas treffend simuliert wird).

 

Eben genau dies kann man von der Schiffsaktivierung bei Armada sagen. Die taktischen Erwägungen, die durch Initiative und die Aktivierungsregeln ins Spiel gebracht werden, verleihen Armada eine enorme Tiefe, die ohne diese Regeln nicht vorhanden wäre. Diese Regeln sind gamistisch. Sie sind da, weil durch sie das Spiel interessanter wird - und sonst nichts.

 

Aber bei X-Wing geht es doch auch? Das Spiel hat doch auch enorme taktische Tiefe. Das ist richtig. Warum verwendet Armada hier einen gamistischen Ansatz, wenn es ein simulationistischer auch tut? Man könnte hier natürlich anführen, dass die Spieledesigner bei Fantasy Flight Games nicht lediglich ein zweites X-Wing herausbringen wollten. Es gab schon ein Spiel mit Pilotenwert. Jetzt nochmal eins mit einer Art „Kapitänswert“ hätte das Produktportfolio zu ähnlich werden lassen. Das ist sicher nicht falsch. Ich denke aber, dass dies nicht der einzige und vielleicht sogar nicht einmal der wichtigste Grund war. Es gibt noch eine zweite Erklärung und die hängt stark mit dem Wesen von Flottengefechten und dem Vorbild der Star Wars-Raumschlachten zusammen.

 

Schon seit sehr langer Zeit bin ich der Überzeugung, dass Star Wars keine Science Fiction ist, sondern Fantasy mit dem Lippenbekenntnis einer Science Fiction-Lackschicht die über den Fantasy-Unterbau gejaucht wurde. Das hört sich negativer an als es gemeint ist: Tatsächlich war ich auch sehr lange Zeit darum recht froh, da ich Science Fiction nicht sonderlich schätzte. Und tatsächlich lag mir damals eine Geschichte von Rittern (Jedis), Prinzessinnen, bösen Magiern (Sith Lords) und dem kosmischen Kampf von Gut gegen Böse (die helle Seite der Macht und die dunkle) deutlich mehr, besonders wenn die dünn aufgetragene Lackschicht von Raumschlachten und Laserfeuer so berauschend anzusehen war.

 

Vor ein paar Jahren habe ich dann doch meine Liebe zu Science Fiction dank der Bücher von Ian M. Banks gefunden. Als ich diese las, wurde mir schlagartig klar, dass die Raumschlachten in Star Wars (und fast aller Science Fiction im Kino- oder Fernsehbereich) ziemlich unplausible Science Fiction sind (auch wenn es höllischen Spaß macht sie anzusehen). Da wird noch auf Distanzen in Sichtkontakt gekämpft und die Zielerfassung geschieht manuell oder zumindest teilweise manuell. Schon in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hat sich die Technik so weit fortentwickelt, dass diese Eigenarten des Luftkampfes immer weiter in den Hintergrund gerückt und teilweise fast völlig verschwunden sind. Anders ausgedrückt: Schon als Star Wars erstmalig im Kino lief, hinkte die Art der Kriegsführung, die diese „Science Fiction“ präsentierte, ihrer Zeit hinterher. Nicht der Rede wert, dass wenn die Menschheit wirklich einmal interstellar reist (und trauriger Weise noch immer Kriege führt) eine solche Kriegsführung ein ähnlicher Anachronismus wäre, wie heutzutage in einer Ritterrüstung auf ein modernes Schlachtfeld zu gehen. Wahrscheinlich würden dann nicht einmal mehr Menschen die Schlachten führen, die Zielerfassungen vornehmen und die taktischen Entscheidungen treffen (weil wir dafür eben hoffnungslos zu langsam wären).

 

Was ist dies also für eine Art Schlachten zu schlagen, die wir bei Star Wars und Co sehen? Es ist genau genommen die der Flottenkämpfe des zweiten Weltkriegs. Großkampfschiffe behaken sich relativ stationär (teilweise sogar auf Sichtkontakt) während kleine Jäger und Bomber maßgeblich in die Schlachten eingreifen. Es gibt Torpedo-Anflüge (und niemand denkt hier an den Todesstern), größere Flugzeuge haben Geschützkapseln, um auf wendigere Jäger zu feuern – und all dies geschieht manuell und in Sichtweite (und niemand denkt hier an die Flucht vom Todesstern). Warum hat Star War diesen Teil der Weltgeschichte ausgesucht, um seine Raumschlachten daran zu orientieren. Die Erklärung liegt auf der Hand: Es ist die letzte Epoche der Geschichte, wo die Flotten-Schlachten berauschend auf der Kinoleinwand anzusehen sind.

 

Was hat das alles mit der Schiffsaktivierung bei Armada zu tun? Jede Menge. Das historische Vorbild und seine Umsetzung bei Star Wars verlangen vergleichsweise langsame und behäbige Großkampfschiffe, die sich aber durch eine nicht unerhebliche Robustheit ausweisen. All diese Faktoren setzt Armada durch simulationistische Regeln um: Bei Armada können die Schiffe sehr viel schwerer ihre Geschwindigkeit ändern als bei X-Wing. Sie sind auch nicht so wendig. All dies passt zu den Star Wars-Schlachten, die repräsentiert werden sollen. Doch würde man nun auch die Schiffsaktivierung simulationistisch ablaufen lassen, würde das Spiel taktisch vergleichsweise uninteressant werden. Der Reiz von X-Wing ist, dass sich das Spielfeld jede Runde fast völlig ändern kann. Es ist eine enorme Herausforderung, bei X-Wing die Züge des Gegners vorherzusehen, die Bewegung auf dem Schlachtfeld mehrere Runden im Vorfeld vorwegzunehmen und sich darauf einzustellen. Bei Armada ist dies viel einfacher. Wäre Armada nun streng simulationistisch und würde die Reihenfolge der Schiffaktivierung aus der Hand des Spielers geben, würden die taktischen Möglichkeiten enorm eingeschränkt. Das Spiel wäre viel vorhersehbarer und würde sich zu einem guten Teil fast selbst spielen und die Spieler wären (verglichen mit dem Spiel, wie wir es kennen) erheblich mehr Zuschauer als Spieler.

 

Das historische Vorbild und, dass es sich so gut für die Kinoleinwand eignet, sind also der Grund, warum die Spieleentwickler bei Armada sich bei den Aktivierungsregeln für einen eher gamistischen Ansatz entschieden haben, während sie bei X-Wing eher simulationistisch verfahren sind. Dieselben Ursachen haben uns übrigens die Einsatzzielkarten beschert: Ein Duell bis zur gegenseitigen Auslöschung würde mit den langsamen Pötten einfach viel zu lange dauern und wäre gegen Ende hin langweilig. Wieder sind es gamistische Gründe, die für einen Teil der Regeln verantwortlich sind.

 

Nachdem all dies gesagt wurde, könnte man leicht vermuten, dass dies eine Kritik in die eine oder andere Richtung sei. Dass X-Wing besser sei, weil es besser das Szenario repräsentiere oder Armada, weil es die spaßigeren Regeln habe. Beide Schlüsse halte ich für Unsinn. Dass Regeln simulationistisch sein müssen – den Zahn hat mir vor Jahren schon das meines Erachtens beste Spiel überhaupt, Twilight Imperium, gezogen. Während ich früher sogar eigene Strategiespiele konzipierte, die derart simulationistisch waren, dass ein Computer nebenher laufen musste, um in einer vier Megabyte großen Excel-Tabelle die Wirtschaftsflüsse zu berechnen, merkte ich mit Twilight Imperium, dass all das Mist war: Es kann viel besser sein, wenn die Spielmechanismen enorme Tiefe zulassen und einfach Spaß machen – selbst wenn sie bisweilen abstrakt sind. Umgekehrt bedeutet der simulationistische Ansatz in X-Wing nicht, dass die Regeln öde sind. Wer das meint, hat einfach noch nicht genug X-Wing gespielt.

 

Tatsächlich spiele ich Armada lieber. Aber das hat eher mit dem größeren Rahmen, der längeren Dauer und den komplizierteren Mechanismen zu tun – eben mit meinem eigenwilligen Geschmack, aber wenig mit der Spieltiefe. Umgekehrt mag dem ein oder anderen Star Wars: Armada zu kompliziert sein oder zu lange dauern. Aber dafür gibt es eine Lösung: Esst mehr Sith-Karotten! Dann werdet ihr stärker, besser. Dann schafft Ihr auch Star Wars: Armada!

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Oli (Dienstag, 21 Februar 2017 22:19)

    Hi,

    vielen Dank für deine Mühe. Bin gerade dabei mich in Armada einzulesen und die Information
    die du uns zur Verfügung stellst sind echt super! Bitte mehr davon :-)
    LG

  • #2

    Darth Veggie (Donnerstag, 23 Februar 2017 15:47)

    Gerne! Heute kommt schon der nächste Artikel!